Highspeed-Analyse der Bissmechanismen von Giftschlangen: Anpassungen an Beute und Anatomie
Giftschlangen haben im Laufe der Evolution hochspezialisierte Bissmechanismen entwickelt, die perfekt an ihre Beute und ihre eigene Anatomie angepasst sind. Diese Mechanismen wurden von einem Forscherteam um Silke Cleuren von der Monash University in Melbourne mittels Highspeed-Kameras detailliert analysiert. Die Studie, die im Journal of Experimental Biology veröffentlicht wurde, gibt faszinierende Einblicke in die verschiedenen Bissstrategien von Vipern, Giftnattern und Nattern.
Methodik der Studie
Für ihre Untersuchungen nutzten die Forscher einen innovativen Ansatz. Sie entwickelten einen Gelzylinder als Beute-Ersatz, dessen Konsistenz der von Haut und Muskeln eines Säugetiers ähnelt. Das Gel war auf Körpertemperatur erwärmt und trug zwei aufgemalte Augen, um die Schlange zum Beißen zu animieren. Diese Methode ermöglichte es den Forschern, die Bisse von 36 verschiedenen Giftschlangenarten unter kontrollierten Bedingungen zu filmen und zu analysieren. Die Highspeed-Kameras lieferten dabei detaillierte Aufnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln, die es ermöglichten, die Bissmechanismen im Detail zu studieren.
Vipern: Geschwindigkeit und Präzision
Vipern zeichnen sich durch ihre außerordentliche Geschwindigkeit und Präzision beim Zubeißen aus. Die schnellste unter ihnen, die Levanteotter (Macrovipera lebetina), benötigt lediglich 22 Millisekunden für ihren Biss. Die südamerikanische Terciopelo-Lanzenotter (Bothrops asper) erreicht dabei eine Spitzengeschwindigkeit von 3,50 Meter pro Sekunde. Diese hohe Geschwindigkeit ist notwendig, da Vipern vorwiegend Säugetiere jagen, die schnell auf Bedrohungen reagieren können. Die Schlangen müssen daher blitzschnell zuschlagen, um ihre Beute zu überwältigen.
Ein weiteres interessantes Detail ist, dass Vipern nach dem Zubeißen nicht sofort mit der Giftinjektion beginnen. In rund der Hälfte der getesteten Vipernarten beobachteten die Forschenden, dass sie einen oder beide Fangzähne noch einmal aus dem Gel zogen und damit erneut zubissen. Im Extremfall rücken die Vipern dadurch ihre Fangzähne abwechselnd vor, bis der Biss richtig sitzt. Nach der Injektion des Gifts lassen die Vipern los und klappen ihre Giftzähne wieder ein – oft einen nach dem anderen. In einem Fall biss eine Levanteotter so heftig zu, dass sie sich einen Fangzahn abrach, der in hohem Bogen weggeschleudert wurde. Dies ist das erste Mal, dass ein solcher Fangzahnbruch mit der Kamera eingefangen wurde.
Giftnattern: Wiederholtes Zubeißen und Giftinjektion
Giftnattern wie Kobras, Mambas oder Taipane nutzen eine andere Strategie. Diese Schlangen nähern sich oft erst ihrer Beute an, bevor sie zustoßen. Dadurch verkürzen sie den Abstand zu ihrer Beute. Giftnattern jagen vorwiegend kaltblütige Beute wie Echsen und andere Reptilien. Nach dem ersten Zubeißen lösen die Giftnattern ihren Biss jedoch mehrfach und beißen wieder zu. Durch das wiederholte Anspannen und Lösen der Kiefermuskulatur pressen diese Schlangen ihre Giftdrüsen aus und pumpen das Gift förmlich in die Beute.
Die Bewegung der Giftnattern ist insgesamt weniger explosiv und schnell als bei den Vipern. Dies führen die Forschenden darauf zurück, dass viele Giftnattern-Arten langsamere, kaltblütige Beute jagen. Es gibt jedoch auch einige Giftnattern mit schnellerem Biss, darunter die Todesotter (Acanthophis rugosus). Diese Giftschlange ähnelt nicht nur äußerlich den Vipern, sondern jagt auch wie diese vorwiegend Säugetiere. Diese Übereinstimmung deutet auf eine konvergente Evolution in Morphologie, Angriffsstrategie und Bissdynamik hin.
Nattern: Sichelförmige Wunden durch mahlende Bewegungen
Nattern wie die Mangrovennatter (Boiga dendrophila) beißen wieder anders zu. Ihre Fangzähne sitzen weiter hinten am Kiefer, sodass sie ihr Maul weiter aufsperren müssen. Um Zeit zu sparen, reißen diese Giftschlangen ihr Maul schon zu Beginn des Zustoßens weit auf. Haben sie dann zugebissen, bewegen die Nattern ihre Kiefer in mahlenden Bewegungen seitwärts und reißen so sichelförmige Wunden in die Haut ihres Opfers. Die größere Wunde stellt vermutlich sicher, dass genügend Gift in die Wundöffnung übertragen wird.
Die Highspeed-Aufnahmen unterstreichen, wie gut sich die Giftschlangen an ihre Beute, aber auch ihre eigene Anatomie und Größe angepasst haben. Die Ergebnisse der Studie liefern nicht nur faszinierende Einblicke in die Bissmechanismen von Giftschlangen, sondern auch in die evolutionären Anpassungen, die diese Mechanismen ermöglicht haben.