Russlands strategische Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur und die internationalen Reaktionen
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Russlands strategische Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur und die internationalen Reaktionen

Im vierten Winter des umfassenden russischen Angriffskrieges ist das ukrainische Energiesystem bereits schwer beschädigt. Nun wird seine Leistungsfähigkeit durch weitere Raketen auf die Probe gestellt. Die russischen Streitkräfte haben ihren Beschuss der ukrainischen Energieinfrastruktur verstärkt und nehmen massiv Wärmekraftwerke und Umspannwerke von Atomkraftwerken ins Visier. Bei einem Großangriff in der Nacht zum 8. November beschoss Russland die Umspannwerke der AKWs Chmelnyzkyj und Riwne. Außenminister Andrij Sybiha sprach von genau geplanten Angriffen. Beide Kernkraftwerke hätten ihre Stromproduktion drosseln müssen, teilte die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) mit.

Hybride Terroranschläge auf Atomkraftwerke

Als "hybride Terroranschläge auf Atomkraftwerke" bezeichnet dies Wolodymyr Omeltschenko, Energieexperte am Rasumkow-Forschungszentrum in Kyjiw: "Ziel ist nicht nur die Unterbrechung der Stromversorgung in den betroffenen Regionen, sondern auch die Zerstörung der Atomenergie, der Grundlage des ukrainischen Energiesystems. Solange die neun ukrainischen Atomkraftwerke laufen, kann man unserem Energiewesen nichts anhaben, es funktioniert weiterhin. Deshalb sind die Russen den letzten Schritt gegangen und verüben hybride Terroranschläge auf AKWs."

Die jüngsten Angriffe auf die Umspannwerke ukrainischer AKWs würden sich weniger gegen die Stromversorgung der Verbraucher richten, so Omeltschenko zur DW. Vielmehr wolle Russland die Reaktoren selbst in eine kritische Lage bringen. Wenn ein Umspannwerk angegriffen wird, kann das AKW keinen Strom ins Netz leiten und der Reaktorblock muss umgehend in einen Notbetrieb geschaltet werden. Dies birgt Gefahren für den Reaktor, da ein schnelles Abschalten nicht möglich ist. Wie Omeltschenko betont, enthalten die Sicherheitsprotokolle keine Verfahren für den Fall von Angriffen auf die AKW-Infrastruktur - weil niemand auf der Welt damit gerechnet habe.

Gefahr längerer Stromausfälle und internationale Reaktionen

"Anders als 2022, als das Stromnetz dank höherer Erzeugungskapazitäten und eines weitverzweigten Netzes innerhalb von 14 Stunden wiederhergestellt werden konnte, ist die Situation jetzt völlig anders", so Olha Koscharna, Atomexpertin und ehemaliges Vorstandsmitglied der Staatlichen Atomaufsichtsbehörde. "Fast die gesamte Stromerzeugung östlich des Flusses Dnipro ist vernichtet, darunter die Wärmekraftwerke Smijiw, Charkiw-5 und Tschernihiw. Das Wärmekraftwerk Wuhledar befindet sich im russisch besetzten Gebiet. Wasser- und Wärmekraftwerke im ganzen Land sind beschädigt, darunter die Werke Dobrotwir, Burschtyn und Ladyschyn."

Russland schlage gezielt dort zu, wo es der Ukraine maximalen und langfristigen Schaden zufügen könne, sagt auch Viktoria Wojzyzka, ehemaliges Mitglied des Parlamentsausschusses für Energie und nukleare Sicherheit sowie Mitglied des Aufsichtsrats des Thinktanks WE BUILD UKRAINE. "Das belegen die Angriffe auf das Wärmekraftwerk Trypillja, um Kyjiw und die Region in Spitzenzeiten am Morgen und Abend von der Stromversorgung abzuschneiden. Sowie die Angriffe auf das Kyjiwer Umspannwerk, ohne das die Versorgung mit Strom aus dem AKW Riwne, der Hauptenergiequelle der Stadt, nicht gewährleistet werden kann", schreibt Wojzyzka auf Facebook. Der Winter 2025/26 werde für Kyjiw hinsichtlich der Strom- und Wärmeversorgung deutlich schwieriger werden - nicht nur im Vergleich zum Winter 2022/23.

Die Ukraine appelliert unterdessen an alle Staaten, insbesondere an China und Indien, Russland aufzufordern, die rücksichtslosen Angriffe auf AKWs einzustellen. "Weltweiter Druck ist notwendig, um Moskau zu zwingen, seine nukleare Erpressung zu beenden", erklärte jüngst Außenminister Andrij Sybiha. Die ukrainische Seite fordert zudem eine Dringlichkeitssitzung des Rates der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) einzuberufen, um so auf die "inakzeptablen Risiken" des russischen Beschusses nuklearer Infrastruktur der Ukraine zu reagieren.

IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi äußerte sich in einer Erklärung eher zurückhaltend: "Umspannwerke sind für unsere Bemühungen um die Gewährleistung der nuklearen Sicherheit im Kriegsfall von entscheidender Bedeutung. Ihre weitere Zerstörung ist in dieser Hinsicht äußerst besorgniserregend. Ich appelliere weiterhin an die Streitkräfte, größtmögliche Zurückhaltung zu üben, um die nukleare Sicherheit zu wahren und Unfälle mit schwerwiegenden radiologischen Folgen zu vermeiden."

Einige Experten rufen ukrainische Diplomaten auf, direkt im Ausland auf die drohenden Gefahren hinzuweisen, die Unfälle in ukrainischen AKWs durch russische Angriffe haben könnten. "Wir müssen die Kernenergie um jeden Preis erhalten, den Luftschutz über wichtigen Umspannwerken für die Stromversorgung der AKWs verstärken und unsere Partner bitten, Luftverteidigungssysteme wie Patriot zum Schutz dieser Umspannwerke bereitzustellen", sagt Wolodymyr Omeltschenko. "Dies ist nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa notwendig, denn ein nuklearer Unfall hätte Auswirkungen auf ganz Europa."

Quiz

  1. 1. Was ist das Ziel der russischen Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur?


  2. 2. Welche Kraftwerke wurden bei einem Großangriff beschossen?


  3. 3. Was passiert, wenn ein Umspannwerk angegriffen wird?


  4. 4. Welche Länder werden von der Ukraine aufgefordert, Russland zu stoppen?


  5. 5. Was fordert die ukrainische Seite zusätzlich zu den Aufrufen an andere Staaten?


  6. 6. Was sagt Wolodymyr Omeltschenko über die Sicherheitsprotokolle?


  7. 7. Was sagt IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi über die Angriffe auf Umspannwerke?


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